Antrag: Modernem Einwanderungsland gerecht werden - Teilhabe fördern!

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

In ihrem Koalitionsvertrag 2021 bis 2025 formulieren SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP auf Bundesebene die Absicht, einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik zu gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird. Unter anderem sollen Migrant*innenselbstorganisationen angemessen unterstützt werden, ein Bundesprogramm zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration von Menschen aus (Süd)ost-Europa aufgelegt und Kommunen und Länder durch zusätzliche Mittel für die Integration finanziell verstärkt unterstützt werden.

Niedersachsen ist - wie Deutschland insgesamt - ein Einwanderungsland. Gerade die aktuelle Situation mit den vielen auch in Deutschland und Niedersachsen Zuflucht Suchenden aus der Ukraine unterstreicht das. Das macht es jetzt besonders deutlich, dass Niedersachsen neue Impulse für seine Integrations- und Teilhabepolitik braucht und verstetigen muss. Das Selbstverständnis einer pluralistischen und multi-ethnischen Gesellschaft ist in Niedersachsen noch stärker auszubilden und zu verankern. Es gilt, diesen Prozess weiter zu befördern.

Dem zugrunde zu legen ist das Prinzip der „Einheit in Verschiedenheit“, das im Kern von gemeinsamen Grundwerten und –regeln, die den Zusammenhalt des Ganzen garantieren, getragen wird. Auf der Basis der Prinzipien eines demokratischen, pluralistischen und multi-ethnischen Gemeinwesens ist das Bewusstsein der niedersächsischen Gesellschaft für gegenseitige Offenheit, Toleranz und Respekt auch im Hinblick auf kulturelle, ethnische, religiöse und weltanschauliche Unterschiede zu fördern.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, einen Gesetzentwurf für ein Gesetz zur Förderung von Integration und Teilhabe vorzulegen, das die folgenden Ziele verfolgt:

  1. die Festigung der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen in Niedersachsen an den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechten und Pflichten sowie die Begleitung und Unterstützung der Teilhabe unabhängig von der sozialen Lage, der Herkunft, des Geschlechtes, der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung insbesondere bei Bildung, Ausbildung, Arbeit, Politik, Kultur und Sport,
  2. die Wahrnehmung Niedersachsens als Einwanderungsgesellschaft sowie das gesellschaftliche Bewusstsein für kulturelle, weltanschauliche und religiöse Vielfalt in Politik, Gesellschaft, Verwaltung, Wirtschaft, Kunst und Kultur zu fördern,
  3. Rassismus zu verhindern und zu beseitigen, so durch die Aufstellung eines Aktionsplans gegen Rassismus,
  4. die Vertretung von Menschen mit Migrationshintergrund in Institutionen, Gremien und kommunalen Vertretungen ihrem Anteil an der niedersächsischen Bevölkerung entsprechend auszuweiten sowie deren Mitwirkungsrechte zu verbessern, z.B. durch die in den kreisfreien Städten, Landkreisen und der Region Hannover rechtlich vorgegebene und in den übrigen Kommunen empfohlene Einrichtung von Integrationsausschüssen nach § 73 NKomVG,
  5. die Infrastruktur für eine bessere Integration und Teilhabe zu sichern und auszubauen unter anderem durch den Ausbau von Sprachmittlungsangeboten wie dem Videodolmetschen und durch eine auf entsprechenden Förderrichtlinien basierende nachhaltige Förderung des landesweiten Netzwerks der Kooperativen Migrationsarbeit in Niedersachsen (KMN) sowie der Koordinierungsstellen für Migration und Teilhabe in den Landkreisen, kreisfreien Städten, der Region Hannover, der Landeshauptstadt Hannover sowie der Stadt Göttingen,
  6. die unmittelbare und mittelbare Landesverwaltung und Justiz interkulturell weiter zu öffnen, deren interkulturelle Kompetenz zu fördern, diese im Sinne eines Qualifikationskriteriums der Beschäftigten für die Einstellung, Ausbildung und Beschäftigung festzuschreiben sowie die Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund konkret und mit Zielvorgaben unterlegt anzustreben,
  7. das Amt einer oder eines Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe, die oder der sich durch die Entwicklung entsprechender Konzepte, Strategien und Maßnahmen für die Erreichung der hier genannten Ziele einsetzt, gesetzlich zu verankern,
  8. Migrantenorganisationen, also Verbände und Vereine, deren Ziele und Zwecke sich wesentlich aus der Situation und den Interessen von Menschen mit Migrationshintergrund ergeben, als strategische Partner für die Integration und Teilhabe zu betrachten und sie richtlinienbasiert nachhaltig zu fördern,
  9. Bildungs-, Ausbildungs- und Studienchancen von Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Teilhabe am Arbeitsmarkt zu fördern, unter anderem durch Unterstützung von Maßnahmen und Projekten zum Erlernen der deutschen Sprache, zur Förderung der Mehrsprachigkeit sowie zur Kompetenzfeststellung, Qualifizierung, Anerkennung von Berufsabschlüssen und Nachqualifizierung,
  10. das durch das Landesamt für Statistik Niedersachsen (LSN) erstellte Integrationsmonitoring verstärkt auf Integrationsaspekte auszurichten.

Begründung

Niedersachsen als weltoffenes Land lebt von seiner Vielfalt, dem Engagement und den Ideen der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. Die Teilhabe der nach Deutschland zugewanderten und weiterhin zuwandernden Menschen ist eine Daueraufgabe, in die alle im Land Lebenden mit einbezogen werden müssen. Es bedarf deshalb auch einer landesgesetzlichen Verankerung von Instrumenten zur Förderung der Vielfalt und Teilhabe.

Aufgabe des Landes ist es, Zuwanderinnen und Zuwanderern eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unter Respektierung kultureller Vielfalt zu ermöglichen. Gleichberechtigte Teilhabe an den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechten und Chancen der Gesellschaft ist notwendige Voraussetzung für die gesellschaftliche und bürgerschaftliche Integration und stärkt die Bindekräfte unseres Landes.

Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wirkt der Integration diametral entgegen. Ein ressortübergreifendes Konzept für einen Aktionsplan gegen Rassismus liegt dank dem Praxisbeirat des Landesprogramms für Demokratie und Menschenrechte sowie staatlicher und zivilgesellschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter bereits seit März 2020 vor. Der Aktionsplan ist ein Baustein, mit dem Niedersachsen über eine Kampagne und verschiedene Aktionen, Projekte gegen Rassismus unterstützen kann. Bisher mangelt es an einer finanziellen Unterlegung.

Kommunale Integrationsausschüsse können die Vertretung von Menschen mit Migrationshintergrund in kommunalen Vertretungen ausweiten und stärken somit deren Identifikation mit dem politischen Geschehen vor Ort. Sie sollen als sogenannte „Ausschüsse nach besonderen Rechtsvorschriften“ nach § 73 NKomVG in den kreisfreien Städten, Landkreisen und der Region Hannover eingerichtet und den übrigen Kommunen empfohlen werden, denn politische Mitbestimmungsrechte für alle Einwohner*innen – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – gehören zu den elementaren Voraussetzungen jeder Integration in einer demokratischen Gesellschaft. Seit 1996 haben nichtdeutsche Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen. Hier lebende Ausländer*innen aus Drittstaaten verfügen jedoch nach wie vor nicht über ein Wahlrecht und werden insofern von der politischen Mitgestaltung ausgeschlossen. Die Gründung demokratisch legitimierter Ausländerbeiräte in den achtziger und neunziger Jahren eröffnete Perspektiven der Interessenvertretung auf kommunalpolitischer Ebene. Als Beiräte sind ihre Mitentscheidungsrechte jedoch stark eingeschränkt. Deshalb ist es erforderlich, sie im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen in echte Mitbestimmungsgremien umzuwandeln.

Integration und Teilhabe erfordern als Querschnittsaufgaben strategische Partner, tragfähige Netzwerke und stabile Strukturen. Das geforderte Gesetz soll deshalb die vorhandenen Netzwerke stabilisieren und professionalisieren, neue Verbünde entwickeln und somit die niedersächsischen Strukturen zukunftsorientiert ausbauen. Das Gesetz soll darüber hinaus noch bestehende Nachteile und eine noch nicht vollständige Öffnung der Regelsysteme für Migrantinnen und Migranten beseitigen. Dieser Anspruch bedeutet vor allem für die Institutionen des Öffentlichen Dienstes und die Verwaltung des Landes, diese Teilhabe zur rechtlichen Pflichtaufgabe zu machen. Die interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung ist festzuschreiben.

Ein anderer Faktor ist die Stärkung der interkulturellen Kompetenz. Vor allem in Stellen des öffentlichen Dienstes ist es von Bedeutung, dass alle Beschäftigten in der Lage sind, bei ihrer Kommunikation, Interaktion und ihrem Verwaltungshandeln die unterschiedlich kulturell geprägten Regeln, Normen, Wertehaltungen und Symbole ihres Gegenübers nachzuvollziehen und grundsätzlich zu berücksichtigen.

Das Amt der Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe hat sich über Jahre bewährt. Nun gilt es, dessen Existenz gesetzlich zu verankern und damit für die Zukunft zu sichern. Die oder der Landesbeauftragte fungiert als engagierte*r und kompetente*r Ansprechpartner*in allen Fragen der Migration und Teilhabe und setzt sich durch die Entwicklung entsprechender Konzepte, Strategien und Maßnahmen für die Erreichung der hier genannten Ziele ein.

Die Förderung von Migrant*innenorganisationen ist von besonderer Bedeutung, weil diese Verbände einen besonders wichtigen Beitrag zur Realisierung und Umsetzung von Teilhabebedarfen leisten. Durch den direkten Zugang zu Menschen mit Migrationshintergrund wird zum einen eine schnelle Erreichbarkeit sichergestellt, und gleichzeitig haben diese Menschen eine professionelle Interessenvertretung.

Arbeit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass auch die gesellschaftliche Teilhabe gelingen kann. Es muss zukünftig selbstverständlich sein, dass jeder Mensch mit Migrationshintergrund seine beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen einbringen kann, ganz gleich, wo sie erworben wurden. Daher ist die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen ein wichtiger Schritt für das Ankommen in der Arbeitswelt und eine gleichberechtigte Teilhabe. Auch die Mehrsprachigkeit und das Verständnis für kulturelle Vielfalt sind Potenziale, die in diesem Zusammenhang besonders berücksichtigt werden sollen.

Ein detaillierteres jährliches Integrationsmonitoring wird von den Kommunen benötigt, um angemessen planen zu können. Der bisherige Umfang des Monitorings wird dem Bedarf nicht gerecht.

 

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