Gerald Heere: Rede zur Fragestunde "Finanzpolitische Widersprüche in den Aussagen von Finanzminister Hilbers? - Wie steuert die Regierung den Haushalt in die Zukunft?"

Rede TOP 33b – Fragestunde: Finanzpolitische Widersprüche in den Aussagen von Finanzminister Hilbers? – Wie steuert die Regierung den Haushalt in die Zukunft?

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

wir haben jetzt viel von Ihnen gehört, viel Eigenlob für die vergangene Legislaturperiode. Unsere Frage, die wir gestellt haben bezog sich aber auf die Zukunft. Da habe ich aber leider nicht so viel von Ihnen gehört. An einer Stelle muss ich Ihnen direkt Recht geben. Sie haben sich bzgl. der Geldpolitik über das lange Zaudern der EZB geärgert. Das entscheidende in dieser Debatte ist aber, dass wir nicht nach Europa zeigen sollten, sondern hier in Niedersachsen, bleiben. Deshalb wollen wir Sie fragen, was Sie eigentlich in Ihrem Verantwortungsbereich in der Fiskalpolitik machen? Ich frage, da ich leider bei der Vorberichterstattung und bei Ihrem Vortrag den Eindruck hatte, dass es Ihnen dabei insbesondere um Wahlkampf und Klientelpflege ging, indem man sich für weniger Staatsverschuldung, niedrigere Steuern und sogar gegen die Ausnahme der Schuldenbremse ausspricht und für den sog. „schlanken Staat“ – mit weniger Sozialausgaben - wirbt, als wäre das im Moment das allerwichtigste.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, in dieser schwierigen Lage in der wir uns befinden mit einem Krieg in Europa und multiplen Krisen, wo wir uns gewissenhaft die Frage stellen müssen, wie wir den Haushalt in die Zukunft steuern, so einen Aufschlag auch noch per Zeitung schön exklusiv zu präsentieren, finde ich der Situation nicht angemessen. Das kritisiere ich ausdrücklich.

Ihr Vorstoß geht auch nach hinten los. Denn die finanzpolitischen Grundpositionen des Niedersächsischen Finanzministers, stammen, offenbar aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Da können sie sich mit Ihrem Bundesvorsitzenden die Hand geben. Mit den aktuellen fiskalpolitischen Empfehlungen der Wirtschaftswissenschaft haben Ihre Thesen jedenfalls rein gar nichts zu tun.

Dazu gleich mal drei Beispiele.

Erstens: Der Wirtschaftsweise Achim Truger (Welt, 30.3.22): „Im internationalen Vergleich ist die deutsche Staatsverschuldung moderat. Aus meiner Sicht wäre es fatal, in einer Situation, in der Krieg in Europa herrscht, notwendige Ausgaben nicht zu tätigen. In dieser Lage kann und muss man die Staatsverschuldung ausweiten. Wenn sich die Konjunktur erholt, konsolidiert man die Staatsfinanzen wie nach der Finanzkrise über Wachstum.“

Zweites Beispiel: DIW-Chef Marcel Fratzscher (Deutschlandfunk, 19.4.22): „Die Politik müsse den Menschen reinen Wein einschenken. Die Schuldenbremse und die schwarze Null werden nicht einzuhalten sein. Das Land dürfe sich nicht kaputtsparen […] Zukunftsinvestitionen müssten in erneuerbare Energien investiert werden, um sich vom russischen Gas unabhängig zu machen. Das heißt, der Staat muss mehr Geld in die Hand nehmen. Da bleibt gar keine andere Option.“ Auch hier eine klare Ansage, in welche Richtung es gehen muss.

Ein drittes Beispiel: Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (Capital, 6.5.22): „Mit Blick auf die Bundesregierung plädierte Hüther dafür, bei den anstehenden Aufgaben auf Steuererhöhungen zu verzichten und stattdessen die Schuldenbremse flexibler zu handhaben oder auch zu reformieren. „Wenn wir jetzt nicht investieren, wird es langfristig sehr viel teurer“, so der IW-Chef.“

Derselbe (Focus-Online, 25.4.22): „Es fehlt die grundsätzliche Wahrnehmung, was die Zeitenwende für die Finanz- und Wirtschaftspolitik bedeutet. […] Die Schuldenbremse einhalten zu wollen, entspricht nicht dem Befund einer Zeitenwende.“

Hier sagen drei namenhafte Wirtschaftswissenschaftler, ganz sicher keine Grünen-Freunde, ganz klar wie der Staat jetzt fiskalpolitisch Handeln muss, um der Krise zu begegnen. Und das alles widerspricht vollständig Ihren Aussagen in der Braunschweiger Zeitung. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

Die Wirtschaftswissenschaft empfiehlt also nicht in der Krise zu sparen, sondern primär massive Investitionen, vor allem in die Energiewende und auch die Nutzung der Ausnahme oder eine Reform von der Schuldenbremse. Herr Dr. Siemer, erst die Reform der Schuldenbremse macht sie zu einer grünen Schuldenbremse. Wir wollen, dass die Schuldenbremse Kredite für Investitionen in Höhe von 1% des BIP zulässt, so wie es der EU-Fiskalpakt für Staaten vorsieht, die die Regeln einhalten. Die wollen wir so aufteilen, dass Bund, Länder und Kommunen alle Zukunftsinvestitionen damit tätigen, dann wären wir sehr viele Schritte weiter. Dann könnten wir endlich Investitionen in einem Maße tätigen, damit wir diese Krise kraftvoll angehen können. Und dann haben wir erst eine Grüne Schuldenbremse Herr Dr. Siemer.

Ein weiteres Thema ist die Inflation. Ich hatte gerade auch schon extra die Frage danach gestellt. Die fossile Inflation ist Folge des russischen Angriffskriegs. Und das macht einen Großteil der Inflation aus.

Sie widersprechen Sich bei dem Thema Ausgabenprogramme bei einem entscheidenden Punkt. Denn Sie wollen beispielweise die LNG-Terminals, was ich persönlich unterstütze, mit viel Geld als Notfallmaßnahme finanzieren. Ich unterstütze dabei auch Ihre Äußerung, dass der Bund dieses Projekt bezuschussen soll, da es letztendlich nicht nur Niedersachsen zu Gute kommt. Aber für eine andere entscheidende Notfallmaßnahme wollen Sie kein Geld geben. Nämlich: Für mehr Investitionen in Energiewende, für energetische Sanierungen und für die Wärmewende. Diese Maßnahmen würden aber gegen eine Inflation helfen, weil Sonne und Wind keine Rechnung schreiben! Warum soll denn nur das eine Ausgabenprogramm als Notfallmaßnahme finanziert werden, das andere aber nicht?

Meine Kritik, auch zu Ihrer Antwort auf meine kleine Anfrage vom 27. April lautet deshalb, dass der Krieg in Europa für Sie offensichtlich keinen Anlass bietet neue Investitionen im Bereich Energiesparen und Energiewende zu tätigen. Sie verweisen lediglich auf die kurz vor dem Krieg beschlossene Mittelfristige Planung und auf den Haushalt vom letzten Jahr und sagen dann, das ist der Maßstab, das reicht völlig aus. Warum sagen Sie nicht, in so einer Situation müssen wir im Bereich Energiesparen und Wärmewende kraftvoll investieren? Genau das wäre jetzt der richtige Weg.

Fazit zu diesem Bereich: SPD und CDU schlagen die Empfehlungen der Wissenschaft in den Wind, weil – und das ist leider mein Eindruck -, die CDU ihre Sparideologie zum Schaden des Landes durchdrückt. Das muss sich dringend nach dem 9. Oktober ändern.

Hören Sie doch auf die Wissenschaft. Ich zitiere hier Experten. Wäre schön, wenn Sie das mal zur Kenntnis nehmen.

Zweiter Punkt Soziales: Jetzt wird es noch mal ein bisschen unfreundlich. Sie haben bei der Beantwortung der Frage 2 die Verfassung gebrochen. Das steht für mich eindeutig fest. Ich habe gefragt: Ist es Auffassung der Landesregierung, dass das Bild einer fortgesetzten Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich eine falsche Erzählung darstellt? Keine Antwort von Ihnen. Ich habe gefragt: Ist es Auffassung der Landesregierung, dass in Deutschland zu viel umverteilt wird? Keine Antwort auf diese Frage. Ich habe gefragt, ob es Auffassung der Landesregierung ist, dass bei den Sozialausgaben gespart werden könnte. Keine Antwort von Ihnen auf diese Frage. Bei allen Fragen hätte man eine Abstimmung der Landesregierung herbeiführen und dem Parlament über das Ergebnis berichten müssen. Dass Sie das nicht gemacht haben, bricht die Verfassung. Sie haben leichtfertig die Verfassung gebrochen. Und das hätte nicht sein müssen!

Sie haben ausschließlich über Generationengerechtigkeit gesprochen, was nicht Teil der Fragestellung war. Ich fordere Sie auf, und hier nochmal das Wort zu ergreifen und die Frage zu beantworten. Darauf hat das Parlament einen Anspruch und ich möchte, dass sie diesen Anspruch erfüllen.

Bzgl. Ihrer inhaltlichen Punkte, gucke ich mir wieder die Wissenschaft an. Wissenschaftler Fratzscher (Quelle s.o.): „Die soziale Schere ist in den letzten 20 Jahren deutlich aufgegangen, auch in Deutschland.“ Und das kann man statistisch belegen. Das wichtigste statistische Instrument für Einkommensungleichheit ist der Gini-Koeffizient. Der wird ausgegeben vom statistischen Bundesamt. Wenn man sich da die Entwicklung von 2009 bis 2020 anschaut ist dieser in den Jahren von 29.1 auf 34.4 gestiegen, insbesondere in den letzten Jahren, während der Corona-Krise. EU-weit sind wir damit leider in der Spitzengruppe. In anderen europäischen Staaten gibt es aber viel weniger soziale Ungleichheit. Beispielweise in der Slowakei, wo der Wert nur 20.9 beträgt. Das heißt, wir haben nicht nur einen schlechten aktuellen Wert, sondern auch eine schlechte Entwicklung. Aus diesen Gründen sollte man diese Fakten zur Kenntnis nehmen und sich damit beschäftigen, anstatt in der Öffentlichkeit falsche Hinweise zu geben, die einen Eindruck erwecken, der schlicht nicht stimmt.

Wenn Sie sagen, dass wir mehr Eigenverantwortung brauchen und bei den Sozialausgaben die Schraube angedreht werden soll, frage ich mich, wie sich das in der aktuellen Lage für Alleinerziehende, die jeden Cent umdrehen, da sie mit den steigenden Lebensmittel- und Energiekosten nicht klarkommen, anhören muss. Wie hört sich in deren Ohren diese Aussage von Ihnen an, man könne doch beim Sozialen ein bisschen sparen? Das ist doch genau der falsche Weg in der aktuellen Krise.

Übrigens alle genannten Wirtschaftswissenschaftler, da findet man übrigens schnell noch mehr Quellen, sind sich einig, dass man gerade jetzt sozialpolitisch den betroffenen Gruppen besonders helfen muss. Aber ganz breite Programme, wie das von Wirtschaftsminister Althusmann vorgestellt, die alle ein bisschen entlasten, sind auch nicht der richtige Weg. Da muss ich meinem Kollegen Grascha Recht geben. Wir müssen da sehr genau gucken, und das hat die Ampel auf Bundesebene klargemacht, in welchen Bereichen besonderer Unterstützungsbedarf vorhanden ist. Ich denke da an die erhöhten Heiz- und Pendelkosten. Da muss konkret geholfen werden, damit die Unterstützung da ankommt, wo die Probleme am größten sind.

Ich glaube, ich habe ausreichend deutlich gemacht, dass Sie hier auf dem völlig falschen Weg sind. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der CDU ist leider nicht auf der Höhe der Zeit: So wird man im Oktober abgewählt und das ist auch richtig so.

 

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