Antrag: Ersatzfreiheitsstrafe ist kontraproduktiv und teuer – Landesspielräume konsequenter zur Reduzierung nutzen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Zahl der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen befindet sich seit Jahren auf einem hohen Niveau.

Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe kann nur selten einen sinnvollen Beitrag zur Resozialisierung und zur Spezialprävention leisten. Dagegen besteht die Gefahr, Personen durch die kurze Inhaftierungsdauer aus ihrem sozialen und ökonomischen Umfeld herauszureißen und somit die Resozialisierung zu unterminieren. Auch trifft die Ersatzfreiheitsstrafe Menschen in prekären Lebensverhältnissen besonders hart.

Die bisherigen politischen Bemühungen haben trotz der erfolgreichen Arbeit der Anlaufstellen für Straffällige die Zahlen der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen in Niedersachsen in den letzten Jahren nicht signifikant senken können. Menschen in multiplen Problemstrukturen werden noch zu selten von den bestehenden Angeboten zur Vermeidung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erreicht.

Daher sollen die Anstrengungen zur Vermeidung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe intensiviert werden.

Der Landtag begrüßt die wichtige Arbeit der Anlaufstellen für Straffällige sowie zusätzlich seit 2020 des Ambulanten Justizsozialdienstes (AJSD) zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen. Er begrüßt darüber hinaus die Pläne der Bundesregierung für eine legale und kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten sowie ihre Überlegungen, die Strafbewehrung der Beförderungserschleichung (§ 265a StGB) zu überprüfen, was unter anderem eine entlastende Auswirkung auf das System der Ersatzfreiheitsstrafe haben kann.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. Entsprechend dem Beschluss der 93. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 1. bis 2. Juni 2022 die Empfehlungen des Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ zu prüfen und geeignete Empfehlungen umzusetzen:
    • Nicht nur im Ermittlungsverfahren, sondern auch im gesamten Vollstreckungsverfahren bei Geldstrafen neben der Amtssprache Deutsch auch in anderen häufig als Muttersprachen vorkommenden Sprachen über die Zahlungspflicht und Möglichkeiten der Stundung, Ratenzahlung und Haftvermeidung entsprechend dem Stand des Verfahrens zu informieren.
    • Sogenannte „Day-by-Day“-Projekte zur Ableistung von freier Arbeit nach dem Vorbild anderer Bundesländer auch in Niedersachsen zu implementieren und entsprechend bei Bedarf das NJVollzG und die ErsFrhStrAbwV ND anzupassen.
  2. Die Einführung einer verpflichtenden konkreten Prüfung der Einkommensverhältnisse einer Person, für die eine Geldstrafe durch die Staatsanwaltschaft beantragt wird, zu prüfen.
  3. Den Schlüssel zur Abwendung eines Tages Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit in § 5 Abs. 1 S. 1 ErsFrhStrAbwV von sechs Stunden auf vier Stunden abzusenken und gleichzeitig für einen einheitlichen bundesweiten Schlüssel von maximal vier Stunden einzutreten. Zudem eine weitere Reduktion des Stundensatzes nach beanstandungsloser Ableistung der ersten Hälfte der Tagessätze nach dem Vorbild Hessens einzuführen.
  4. Die Einführung eines Programms für berufliche Qualifikation und Training für Personen, die an Haftvermeidungsprogrammen teilnehmen, nach dem Vorbild Brandenburgs unter Einbeziehung der Anlaufstellen für Straffällige zu prüfen.
  5. Dem Rechtsausschuss nach Abschluss der Evaluation der Einbindung der Gerichtshilfe des Ambulanten Justizsozialdienstes (AJSD) in Folge des Erlasses vom 07.07.2020 zu deren Ergebnis zu berichten.
  6. Die Finanzierung der Anlaufstellen für Straffällige entsprechend dem Landtagsbeschluss vom 21.01.2016 „Wirksame Resozialisierung von Inhaftierten ermöglichen!“ (Drs. 17/5028) in Niedersachsen dauerhaft auf feste Beine zu stellen und die bestehende Förderrichtlinie vollumfänglich umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass die entsprechenden Haushaltsmittel jährlich zur Verfügung gestellt werden, anstatt Teile der Mittel erst über die politische Liste bereit zu stellen.
  7. Wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftierte Personen nicht weiterhin von der sogenannten Weihnachtsgnade (jährlicher Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums „Vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen aus Anlass des Weihnachtsfestes“) pauschal auszunehmen.
  8. Spezielle Beratungs- und Hilfsangebote für wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierte in Haft in Bezug auf Aufnahme, Vollzugplanung und Entlassungsvorbereitung zu etablieren, damit auf ihre besondere Situation und Bedürfnisse auch im Sinne der Prävention eingegangen werden kann. Insbesondere gehört dazu die Möglichkeit kostenloser Telefonanrufe unmittelbar nach Haftantritt, um Personen kontaktieren zu können, die bei der Abzahlung der Geldstrafe helfen können.
  9. Bis zur Neuregelung des Umgangs mit Cannabis auf Bundesebene den RdErl. d. MJ u. d. MI v. 7.12.2012 - 4208-401.83 (Nds.MBl. Nr.46/2012 S.1253) - VORIS 33210 – wie folgt zu ändern:
    • In Nr. 2.1.1 die Bruttomenge von derzeit 6 Gramm auf 10 Gramm anzuheben.
    • In Nr. 2.1.1 das „kann“ durch ein „soll“ ersetzen
    • Unter 2.2 „kann grundsätzlich angenommen werden“ durch „soll grundsätzlich angenommen werden“ ersetzen und Satz 3 ersetzen durch „Der Anwendung des § 31a BtMG steht auch im Wiederholungsfall grundsätzlich nichts entgegen.“
  10. Auf Bundesebene
    • die Pläne der Bundesregierung für eine legale und kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten,
    • die Überlegungen zur Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung (§ 265a StGB) und
    • eine Überarbeitung des Sanktionensystems, insb. in Bezug auf bestehende Defizite bei der Ersatzfreiheitsstrafe im Bundesrecht, entsprechend dem Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien zu unterstützen.

Begründung

Die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB hat sich in den vergangenen Jahren in Niedersachsen ebenso wie bundesweit gemessen an den Haftantritten zu einem Massenphänomen entwickelt. Etwa 40 Prozent der Haftantritte in den vergangenen Jahren in Niedersachsen waren durch eine Ersatzfreiheitsstrafe bedingt. Gleichwohl gibt es massive rechtspolitische und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ersatzfreiheitsstrafe, insbesondere in ihrer aktuellen Ausgestaltung. Problematisch ist etwa, dass die inhaftierten Personen gerade nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden, sondern lediglich eine Geldstrafe zahlen sollten. Zudem bestehen Bedenken in Bezug auf die Prävention und negative Folgen der regelmäßig äußerst kurzen Inhaftierung für die soziale Verankerung in der Gesellschaft. Von der Ersatzfreiheitsstrafe sind überdurchschnittlich viele arme Menschen und Menschen in multiplen Problemlagen – etwa aus Obdachlosigkeit, Armut, Drogenabhängigkeit und Verschuldung – betroffen. Der Bundesgerichtshof sprach bereits 1978 von einer „grundsätzlich härtere(n) Behandlung auch des unverschuldet zahlungsunfähigen Verurteilten“ (BGHSt 27, 93). Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe verursacht erhebliche jährliche Kosten im zweistelligen Millionenbereich für das Land Niedersachsen und damit für die Allgemeinheit. Dieses Geld könnte sinnvoller in der Bekämpfung wichtiger Ursachen wie etwa Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit verwendet werden. Daher ist es sinnvoll, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen Ersatzfreiheitsstrafen vermieden und reduziert werden können. Auch wenn es bereits heute Möglichkeiten der Vermeidung, insbesondere durch die effektive und Haftkosten ersparende Arbeit der Anlaufstellen für Straffällige, gibt, müssen diese offensichtlich angesichts der unverändert hohen Zahl der angetretenen Ersatzfreiheitsstrafen ausgebaut werden. Neben dem Bundesgesetzgeber ist daher auch das Land Niedersachsen gefragt, im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten Maßnahmen zu ergreifen.

2019 hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ ihren Abschlussbericht vorgelegt, der eine Reihe an Vorschlägen beinhaltet, die auch die Länder selbstständig umsetzen können, um die Zahlen der Ersatzfreiheitsstrafen zu reduzieren. Hierzu gehören insbesondere zwei Vorschläge, die Niedersachsen bisher noch nicht umgesetzt hat.

Derzeit erfolgt ein Schriftverkehr in der Muttersprache des Betroffenen lediglich im Ermittlungsverfahren. Im Vollstreckungsverfahren dagegen werden Mahnung, Zahlungserinnerung und Ladungen zum Haftantritt lediglich in der deutschen Amtssprache versandt. Um auch Verurteilte über die Möglichkeiten der Haftvermeidung besser zu informieren, empfiehlt es sich jedoch, auch in diesem Verfahrensabschnitt Informationen in verschiedenen potentiellen Muttersprachen bereitzustellen. Das Land sollte sich dabei an den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe orientieren.

Etliche andere Bundesländer, etwa Berlin und Hamburg, bieten sogenannte „Day-by-Day“-Projekte an, bei denen es wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten möglich ist, während ihrer Inhaftierung nicht nur die Strafe abzusitzen, sondern zusätzlich parallel abzuarbeiten. Alle Länder, die dieses Projekt durchführen, haben erhebliche Einsparungen bei den Haftkosten erreichen können. Insbesondere werden weibliche Personen, die wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert wurden, gut erreicht. Ein Verweis auf die generelle Arbeitspflicht im Gefängnis und die Möglichkeit, aus der Haft zur Ableistung von „freier Arbeit“ entlassen zu werden, sind keine durchgreifenden Gründe, ein solches Projekt nicht auch in Niedersachsen einzuführen. Auch in Bundesländern wie Berlin und Hamburg besteht eine Arbeitspflicht für Gefangene. Bei der Einführung sollte die Einsatzmöglichkeit sowohl in den Justizvollzugsanstalten als auch – wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen – außerhalb der Justizvollzugsanstalten geprüft werden. Das Angebot sollte sich sowohl an Personen richten, die lediglich wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert sind, als auch an Personen, die noch eine Freiheitsstrafe absitzen, bei denen im Anschluss aber eine Ersatzfreiheitsstrafe droht. Ggf. erforderliche Gesetzes- oder Verordnungsänderungen könnte das Land problemlos vornehmen. Die „Day-by-Day“-Projekte sind nicht nur eine sinnvolle Erweiterung des Angebots zur Reduzierung von Hafttagen im Rahmen der Ersatzfreiheitsstrafe, sondern wurden auch von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe empfohlen.

Bei vielen Personen, die von einer Ersatzfreiheitsstrafe in Folge einer per Strafbefehl erlassenen Geldstrafe betroffen sind, wird eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 42 Abs. 3 StGB geschätzt. Wird der Einspruch versäumt und ein Strafbefehl rechtskräftig, was bei Personen mit multiplen Problemstrukturen aus verschiedenen Gründen regelmäßig vorkommt, ist eine gerichtliche Abänderung im Nachhinein nicht mehr möglich. So sehen sich viele betroffene Personen mit zu hoch angesetzten Tagessatzhöhen konfrontiert, die die Abzahlung weiter erschwert. Eine Reduktion des Einsatzes der Schätzung – ggf. in einem zunächst örtlich begrenzten Modellversuch – könnte dazu führen, dass Fehlschätzungen seltener vorkommen und die Zahlungsmoral sich verbessert.

Bisher wird gem. § 43 StGB ein Tagessatz einer Geldstrafe mit einem Hafttag verrechnet. Hier unterscheidet sich Deutschland von anderen Ländern, die einen Verrechnungsschlüssel von zwei zu eins eingeführt haben. Die Verrechnung eins zu eins wird wohl auch kaum der Realität gerecht, dass ein Tag Freiheitsstrafe eine deutlich höhere Belastung darstellt als die Zahlung des Verdienstes eines Tages. Entsprechend hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe auch eine Änderung des § 43 StGB vorgeschlagen. Während es sich hierbei um Bundesrecht handelt, hat aber auch das Land Spielräume. So wird gem. § 5 Abs. 1ErsFrhStrAbwV ND in der Regel ein Hafttag durch sechs Stunden „freie Arbeit“ abgewendet. Damit befindet sich Niedersachsen am oberen Ende des Spektrums der verschiedenen Bundesländer, die Stundensätze von zwischen vier und sechs Stunden geregelt haben. Niedersachsen sollte hier den Regel-Verrechnungsschlüssel auf vier Stunden absenken. Damit würde es einerseits die Ableistung der „freien Arbeit“ wieder attraktiver machen. Andererseits würde es den angeführten Erwägungen zur Ungleichheit eines Arbeitstages und eines Hafttages Rechnung tragen, indem ein halber Arbeitstag „freie Arbeit“ einen Hafttag ersetzt. Andere Vorschläge, etwa vom Evangelischer Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe e.V., gehen hier sogar noch weiter und fordern mit der Begründung, dass ein Hafttag aus 24 Stunden drei Arbeitstagen à acht Stunden entspricht, eine Absenkung des Verrechnungsschlüssels auf 3 Stunden.

Hessen regelt in § 5 Abs. 1 S. 2 der Verordnung über die Tilgung von Geldstrafen durch freie Arbeit vom 24. Januar 1997, dass bei einwandfreier Ableistung der ersten Hälfte der Tagessätze die Vollstreckungsbehörde für die zweite Hälfte eine Reduktion der Anzahl der Stunden zur Tilgung eines Tagessatzes halbieren kann. Dieses Instrument kann gerade bei einer hohen Zahl von abzuarbeitenden Tagessätzen – z.B. wegen der Ansammlung mehrerer kleinerer Geldstrafen – einen Anreiz dafür bieten, die Teilnahme an freier Arbeit nicht abzubrechen. Angesichts dessen, dass in Niedersachsen in den Jahren 2019 und 2021 die längsten verbüßten Ersatzfreiheitsstrafen bei der erheblichen Länge von 559 bzw. 500 Tagen lagen, stellt sich dieses Problem umso mehr.

In Brandenburg bietet das Projekt „Haftvermeidung durch soziale Integration“ erfolgreich Personen, die an Haftvermeidungsmaßnahmen teilnehmen, an, durch berufliche Qualifikations- und Trainingsmaßnahmen ihre beruflichen Vermittlungschancen zu erhöhen. Angesichts eines hohen Anteils von Personen ohne oder mit lediglich geringer Ausbildung und beruflicher Qualifikation an den von Ersatzfreiheitsstrafen Betroffenen (Studien gehen von > 70 % aus) kann ein derartiges Angebot das Risiko der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für einen Teil der Betroffenen senken und einen Weg aus dem Kreislauf aus Armut und Kriminalität bieten. Zudem würde dieses Angebot die Attraktivität von „Schwitzen statt Sitzen“ erhöhen.

Am 21.01.2019 hat der Landtag in seinem Beschluss „Wirksame Resozialisierung von Inhaftierten ermöglichen!“ (Drs. 17/5028) beschlossen, die Förderung der wichtigen und hohe Haftkosten ersparenden Arbeit der Anlaufstellen für Straffällige finanziell langfristig auf feste Beine zu stellen. Die in Folge dessen verfasste Förderrichtlinie wurde bisher allerdings nicht vollumfänglich umgesetzt. Nicht nur sind die tatsächlich bereitgestellten Mittel zu niedrig, sondern ein erheblicher Teil wird jedes Jahr über die sog. politische Liste erst eingebracht. Das reicht nicht aus und kreiert Unsicherheiten. Eine vollumfängliche Umsetzung der Förderrichtlinie ist notwendig.

Inhaftierte, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, werden bisher auch nicht bei der jährlichen „Weihnachtsgnade“ berücksichtigt. Dies ist ungerecht und inkonsequent. Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, wurden vom Gericht gerade nicht zu einer Haftstrafe verurteilt, sondern lediglich zu einer Geldstrafe. Ein Verweis auf die theoretische Möglichkeit, die Inhaftierung durch Zahlung der Geldstrafe zu beenden, geht dabei häufig an der Realität der betroffenen Personen vorbei. Sie haben eine Weihnachtsgnade nicht weniger verdient als Personen, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Dies gilt umso mehr als die Weihnachtsgnade auf Erwägungen der Resozialisierung beruht. Diese Erwägungen tragen aber bei wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten gleichfalls. Inwiefern die Unfähigkeit, die finanziellen Mittel zur Abzahlung der Geldstrafe aufzubringen, eine andere Wertung im Hinblick auf die Resozialisierung zulassen, ist nicht ersichtlich. Auch andere Bundesländer beziehen entsprechend wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierte in die Weihnachtsgnade mit ein.

Ist eine Person wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe erst einmal inhaftiert, ist es aufgrund der regelmäßig kurzen Inhaftierungsdauer häufig für diese Personen schwierig, von den bestehenden Programmen für Inhaftierte zu profitieren. Die ohnehin schon im Hinblick auf die Resozialisierung wenig dienliche Ersatzfreiheitsstrafe kann so oft gar nicht erst dafür genutzt werden, an den grundlegenden Problemen zu arbeiten. Hier sollte die Landesregierung besondere Angebote, die auch bei kurzer Verweildauer wahrgenommen werden können und auf die spezifischen Probleme der wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten eingehen, entwickeln und testen. Vorbilder dafür können die Projekte in den JVAen Bielefeld-Senne und Moers-Kapellen sein, in denen direkt nach Aufnahme der Inhaftierten eine Beratung zur Abwendung der weiteren Haft erfolgt, die Gelegenheit zur telefonischen Kontaktaufnahme mit Personen, die bei der Bezahlung der Geldstrafe helfen können, gegeben wird und bei Unmöglichkeit der anderweitigen Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe eine Empfehlung zum bevorzugten Arbeitseinsatz gegeben werden kann. Diese Projekte haben nicht nur die Inhaftierung vieler Betroffener verkürzt, sondern auch erhebliche Haftkosten erspart.

Studien ergeben, dass bei etwa neun von zehn Haftantritten wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe die Personen durch die Polizei infolge eines spontanen Aufgreifens zugeführt werden. Dieser Umstand bedingt, dass es für viele der betroffenen Personen schwieriger ist, etwa durch eine Kontaktaufnahme mit Freund:innen oder Verwandten eine zügige Abzahlung der Geldstrafe in die Wege zu leiten. Die Möglichkeit jeder Person unmittelbar nach Haftantritt kostenlose Anrufe zu tätigen, könnte ein weiterer Schritt sein, unnötige Ersatzfreiheitsstrafen zu reduzieren.

Studien legen nahe, dass zwischen 20 und 25 Prozent der wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten wegen Beförderungserschleichung (§ 265a StGB) verurteilt wurden, ein erheblicher Teil ebenfalls wegen Betäubungsmittelkonsum- oder besitz. Es fehlt bei diesen Taten also nicht nur ein Unrechtsgehalt, der die Sanktionierung mit dem Strafrecht rechtfertigt, sondern diese Taten treffen besonders arme Menschen, die infolgedessen häufig eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen. Statistiken ergeben hier das Bild, dass etwa 1/7 der wegen Beförderungserschleichung (§ 265a StGB) Verurteilten eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, während dieser Wert etwa bei Abgaben- und Steuerdelikten bei lediglich 1/43 liegt. Durch die Straftaten mit einem geringen Unrechtsgehalt, werden eine enorme Belastung der Justiz und hohe Kosten für die Allgemeinheit durch die häufige Ersatzfreiheitsstrafe produziert. Entsprechend ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung eine legale, kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten anstrebt. Ebenfalls sind Überlegungen der Bundesregierung zur Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung (§ 265a StGB) aus den angegebenen Gründen zu unterstützen.

Da grundlegende Änderungen am Sanktionssystem und dem System der Ersatzfreiheitsstrafen allerdings nur auf Bundesebene erfolgen können, sollte das Land Niedersachsen sich dafür einsetzen, dass auf Bundesebene auf Grundlage der existierenden Reformvorschläge, auch aus der Zivilgesellschaft, das Sanktionensystem, insbesondere das System der Ersatzfreiheitsstrafen, entsprechend dem Vorhaben der Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag überarbeitet wird.

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