Antrag: Wegraine als Lebensraum zurückgewinnen, wiederbeleben und erweitern – Ziele des niedersächsischen Wegs konsequent umsetzen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Im Niedersächsischen Weg wurde folgendes verankert:

„3. Um die Populationen wildlebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und Lebensgemeinschaften zu sichern sowie funktionsfähige ökologische Wechselbeziehungen zu bewahren und damit den Vorgaben sowohl des Bundesnaturschutzgesetzes als auch des NAGBNatSchG nachzukommen, wird bis 2023 ein landesweiter Biotopverbund auf 15 % der Landesfläche bzw. 10 % der Offenlandfläche aufgebaut. Auf Grundlage der Landesraumordnung und des landesweiten Biotopverbundkonzepts im Niedersächsischen Landschaftsprogramm wird ein funktionierender Biotopverbund unter Einbeziehung schon bestehender Strukturen entwickelt.

Landschaftselemente, insbesondere linienförmig, fortlaufende Strukturen wie Fließgewässer einschließlich ihrer Ufer, Weg- und Feldraine oder auch Hecken, Feldgehölze, Alleen und Baumreihen, tragen eine besondere Bedeutung für die Vernetzung der Kernflächen des Biotopverbunds.“

Wegraine und Straßenbegleitflächen sind Offenlandflächen in Agrarlandschaften und Siedlungsbereichen, die grundsätzlich weder einer landwirtschaftlichen Nutzung noch einer naturschutzfachlichen Pflege unterliegen. Sie machen 2 - 6 % der Agrar- und Siedlungsfläche Deutschlands aus. Nimmt man Feld- und Waldsäume, Gehölzstrukturen, Gewässerränder und Deiche dazu, ist der Flächenanteil noch wesentlich größer. Allein in Niedersachen gibt es an über 16.000 km ländlichen Wegen Seitenräume, die ein Potential für den Naturschutz aufweisen.

Die tatsächliche Fläche der Wegraine hat in den letzten Jahrzehnten jedoch stark abgenommen, da sie teilweise in die angrenzende Ackernutzung übergegangen, einzelne Wege durch Flurbereinigungsverfahren komplett verschwunden oder deutlich schmaler geworden sind. Neben dem quantitativen Verlust hat sich auch der ökologische Zustand der Wegraine stark verschlechtert. Großflächige Mulchmahd vor der Samenreife der Blütenpflanzen führt dazu, dass die Pflanzen nicht mehr aussamen können, sich Nährstoffe auf den Flächen anreichern und in der Konsequenz die Artenvielfalt abnimmt. Außerdem überleben viele Insekten den Arbeitsschritt nicht und es bleiben keine Brachebereiche als Überwinterungsstätten erhalten.

Das Land muss als Vorbild beim Insektenschutz vorangehen. Das niedersächsische Aktionsprogramm Insektenvielfalt sieht zwar die Erarbeitung diverser Leitfäden für eine insektenfreundliche Bewirtschaftung von Wegrainen und Landschaftselementen vor, räumt jedoch selbst für landeseigene Behörden lange Übergangszeiträume bis 2027 vor. Zudem fehlen Fördermöglichkeiten, um Kommunen bei der naturverträglichen Pflege, Rückgewinnung und Entwicklung von Wegrainen und Landschaftselementen zu unterstützen.

Der Landtag begrüßt,

  • Die Zielsetzung des niedersächsischen Weges, Gewässerrandstreifen und Wegraine als Teil des landesweiten Biotopverbundes zu sichern und zu vernetzen sowie die ersten Ansätze für eine Umsetzung im Aktionsprogramm Insektenvielfalt,
  •  dass sich der niedersächsische Heimatbund, die Naturschutzverbände NABU und BUND, die Abteilung Agrarökologie der Universität Göttingen sowie zahlreiche weitere Unterzeichner*innen aus Kommunen, Landschaftspflege und Ökologie mit dem Niedersächsischen Wegrain-Appel für den Schutz der Wegraine als Lebensraum einsetzen,

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. Fördermöglichkeiten für eine naturschutzorientierte und insektenfreundliche Bewirtschaftung von Wegrainen und Gewässerrandstreifen sowie deren Ausweitung zu schaffen und dafür auch im Rahmen der neuen EU-Agrar-Förderperiode ausreichend Mittel bereitzustellen,
  2. die Kommunen dabei zu unterstützen, unrechtmäßig bewirtschaftete Seitenränder zu identifizieren und untergepflügte Flächen im Besitz der öffentlichen Hand für die Natur zurückzugewinnen,
  3. das Aktionsprogramm Insektenvielfalt im Sinne eines ambitionierteren Beitrags des Landes zum Schutz und der Entwicklung von Wegrainen zu verbessern:
    • Die Landesstraßenbaubehörde (NLStBV) muss die Leitfäden für insektenschonende Straßenunterhaltung und Pflege des Straßenbegleitgrüns bereits Ende 2022 und nicht erst 2025 vorlegen.
    • Wegraine und Landschaftselemente im Besitz des Landes müssen ab sofort insektenfreundlich bewirtschaftet und entwickelt werden. Entsprechende Weisungen sind an die Landesstraßenbaubehörde, Landesforsten, Domänen und Moorverwaltung, Nationalpark- und Biosphärenverwaltung zu erteilen.
  4. bei der Zahlung von Agrarförderungen sicherzustellen, dass die tatsächlichen Eigentums- und Pachtverhältnissen als Grundlage herangezogen werden und Flächenprämien für angrenzende Wegraine bzw. öffentliche Flächen ausgeschlossen sind,
  5. sicherzustellen, dass bei Flurbereinigungsverfahren an existierenden und neu gebauten Wegen Raine in der ursprünglichen Breite zu erhalten oder in einer Mindestbreite von 3 m beidseitig anzulegen,
  6. einheitliche Regelungen dafür zu schaffen, welche naturschutzfachlichen Kompensationsmaßnahmen auf Wegrainen zulässig sind.

Begründung

Bereits im November 2018 forderten die Regierungsfraktionen von SPD und CDU mit Unterstützung der Fraktionen von Grünen und FDP mit dem Landtagsbeschluss „Artensterben aufhalten – Insekten schützen“ die Landesregierung auf, „im Rahmen vorhandener Kapazitäten eine Flächenbestandsaufnahme durchzuführen, welche Flächen der öffentlichen Hand ungenutzt sind, und darauf hinzuwirken, dass diese Flächen der öffentlichen Hand, wie z. B. dafür nutzbare Wegeseitenränder, naturnah gestaltet und unter Berücksichtigung des Insektenschutzes bewirtschaftet werden“[1].

Die Landesregierung antwortete in ihrer Unterrichtung zu dem Beschluss jedoch folgendes: „Die für die Durchführung einer solchen flächendeckenden Bestandsaufnahme nötigen Kapazitäten sind derzeit nicht vorhanden, weshalb diese bislang nicht umgesetzt werden kann.“[2]

Auf Wegrainen wachsen potentiell viele verschiedene Gräser und Blütenpflanzen. Diese bieten Nahrung und Lebensraum für eine Vielzahl von Tierarten. Besonders Insekten erfüllen für die Landwirtschaft wichtige Funktionen in Form von Bestäubung oder biologischer Schädlingskontrolle. Zudem können Wegraine Strukturen wie Sträucher, Bäume und Alleen aufweisen, wodurch die Landschaft vielgestaltiger wird. Viele größere, bedrohte Tierarten der Agrarlandschaft wie Rebhuhn, Feldlerche oder Feldhase zeigen bei steigender Wegraindichte einen Anstieg der Populationsdichte.

Auch als Überwinterungsversteck sind sie wichtig, da viele Insekten an oder in Pflanzenstängeln oder Grasnestern überwintern. Wegraine können in besonderem Maße als Teile eines Biotopverbund-systems angesehen werden, denn sie gewährleisten und verbessern den genetischen Austausch zerstreut liegender Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten. Neben dem Biotopverbund kommt Wegrainen eine kulturhistorische Bedeutung zu, da sie Zeugnisse alter Bewirtschaftungsformen aufzeigen und so die niedersächsische Kulturlandschaft prägen.

Wegraine haben auch eine wirtschaftliche Bedeutung: Sie tragen zum Erosionsschutz und zum Schutz vor Staub- und Schneeverwehungen bei, dienen der Schädlingsregulierung, haben eine Pufferfunktion für Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel beim Übergang zu natürlichen Habitaten und können den Abfluss des Oberflächenwassers regulieren.


[1] Vgl. Drs. 18/2117

[2] Vgl. Drs. 18/3828

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